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Nimmst du mich mit zu einer Modenschau?

„Wow, Sie arbeiten also in der Modebranche.“ Viele reagieren so, wenn ich ihnen erkläre, was ich beruflich mache. Ich ziehe dadurch die Aufmerksamkeit anderer auf mich und empfinde in diesem Moment ein bisschen Genugtuung. Doch es bedarf nur einiger weiterer Bemerkungen, um zu der unvermeidlichen Frage zu gelangen: „Nimmst du mich mit zu einer Modenschau?“

Kein Streaming-Erlebnis kann das ersetzen: Noch heute weckt die Vorstellung, an einem großen Event wie einer Modenschau teilzunehmen, Neugier. Obwohl ich bereits viele Fashion Weeks hinter mir habe, bin ich immer noch ein wenig aufgeregt, wenn die Runways näher rücken.

 

 

 

Ein Platz in der ersten Reihe

Eine Modenschau ist weit mehr als nur eine Aufeinanderfolge von Kleidern, die von wunderschönen Frauen präsentiert werden. Es ist, als würde man Sie von Saison zu Saison in ein privates Zuhause einladen, um Ihnen eine neue Geschichte zu erzählen, die bis ins kleinste Detail durchdacht ist, um Sie zu faszinieren, zu neugierig zu machen, zum Träumen anzuregen und Ihnen vielleicht sogar zu zeigen, dass Sie anders sein möchten, als Sie sich immer vorgestellt haben. Ein Platz in der ersten Reihe ist wie der erste Kuss, man vergisst ihn nie, und ich würde sehr gerne die Personen mit mir in den Saal nehmen, deren Augen bereits zu leuchten beginnen, wenn sie sich die Szene nur vorstellen. Die Wahrheit ist, dass, wenn jeder von uns Fachleuten in Begleitung von Freunden käme, wahrscheinlich ein Fußballfeld nicht ausreichen würde, um uns alle unterzubringen. Ich kann jedoch etwas genauer beschreiben, wie eine Modenschau abläuft.

 

 

 

 

 

Alles beginnt bereits vor der vereinbarten Zeit, wenn Sie Ihren Kleiderschrank öffnen und Ihr Outfit für den Tag auswählen. Wenn ich mir bereits jeden Morgen Zeit nehme, um mein Outfit zusammenzustellen, versteht es sich von selbst, dass ich für Modenschauen noch mehr Sorgfalt walten lasse. Allerdings möchte ich mein Erscheinungsbild nicht übermäßig verändern, nur um aufzufallen. Wenn ich beispielsweise morgen zu einer Veranstaltung eingeladen wäre, würde ich mich für ein ärmelloses Jackettkleid aus schwarzem Cady mit V-Ausschnitt entscheiden. Es betont die Figur, ohne einzuengen, und hat vorne einen reizvollen Schlitz. Um die Strenge auszugleichen, würde ich das Outfit mit Maxi-Ohrringen und einer Vielzahl von Armreifen an den Handgelenken auflockern und das Ganze mit metallischen Sandalen mit Spiegeloptik abrunden.

 

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Es kam vor, dass ich zu Tränen gerührt war, mir einen Zauberstab wünschte, um dieses oder jenes Kleid sofort anziehen zu können, und mir mentale Notizen machte, in dem Bewusstsein, gerade ein Stück Zukunft auf dem Laufsteg gesehen zu haben. Aber immer mit Dankbarkeit gegenüber all jenen, die dank dieser Kleidung die Welt zu etwas Besonderem machen.

 

Die Emotion, einer Modenschau beizuwohnen

Die Menschen in der Modebranche haben ihre eigene Vorstellung von Zeit: Wenn in der Einladung steht, dass man sich um zehn Uhr morgens einfinden soll, weiß man bereits, dass die Veranstaltung frühestens um halb elf beginnen wird, und dennoch bemüht man sich – sofern es der Verkehr zulässt –, nicht in letzter Minute anzukommen. Warum? Ganz einfach: Es ist die Modenschau der Modenschauen und die Ankunft der Gäste, die sich wie Sie, sorgfältig gekleidet haben werden. Ich weiß bereits, was Sie denken: „Uhhh, alle klatschen und tratschen, was für ein Albtraum“, aber Sie wären überrascht. Abgesehen von einigen unverbesserlichen Neinsagern ist dies ein Moment der Anregungen und Ideen: Ich finde immer große Inspiration in den Beiträgen meiner Kolleginnen und Kollegen.

 

 

Es ist soweit: Die Lichter werden gedimmt, das Gemurmel verstummt, die Musik setzt ein, vorzugsweise in voller Lautstärke, und alle Blicke richten sich auf den ersten Look, der den Ton für die Show angibt. Manchmal bin ich fasziniert davon, die Flut von Köpfen zu beobachten, die sich alle gleichzeitig umdrehen. Wir sind ein Meer von Augen (und auch von Smartphones) auf der Suche nach diesem subtilen Gefühl, das einen erfasst, wenn man Schönheit wahrnimmt. Die monatelange Arbeit der Stilist*innen, Musterzeichner*innen, Musterersteller*innen, Stylist*innen und Schneider*innen wird durch den Auftritt der Models zum Leben erweckt. Diese zehn, vielleicht zwölf Minuten Show versetzen uns alle in eine andere Dimension, die nach einigen Monaten in unseren Kleiderschränken zur Realität wird.

 

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Cristina Manfredi: Wer hinter dem New Fashion Journal von Marina Rinaldi steckt

Sie ist gebürtige Bielleserin und Wahl-Mailänderin und arbeitet als Mode-, Lifestyle- und Gesellschaftsjournalistin mit jeder Menge guter Laune. Sie arbeitete als Tageskolumnistin für Milano Finanza Fashion und wechselte dann zu Vanity Fair, was sie aufgab, um sich mehr Zeit für persönliche Projekte, das Schreiben, den Tango, das Laufen und ihre geliebten Katzen zu nehmen. Heute schreibt sie für Vanity Fair, L’Officiel, Marie Claire und Style Magazine, das Monatsmagazin des Corriere della Sera.